Diese Handlungsstrategien in den fünf
Säulen bilden ein umfangreiches Portfolio, das dem Bürger für jedes Lebensrisiko
mehrere geeignete Handlungsinstrumente zur Verfügung stellt. Die Strategien und
ihre Instrumente sollten einen komplementären Charakter haben, sonst blockieren
sie sich gegenseitig.
Die fünf Säulen des deutschen
Sozialsystems sollten wie folgt reformiert werden (vgl. 5. Schaubild: Handlungsstrategien und -instrumente. Effizienter und gerechter Umbau der Sozialen Sicherheit in Deutschland):
6.1 Bismarck-Säule
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Das komplexe gegenwärtige System
(Sozialhilfe, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Grundsicherung
für Arbeitssuchende (auch Hartz IV oder Arbeitslosengeld II genannt, bis
2005 Arbeitslosenhilfe), Jugendhilfe, Kinder-, Erziehungs- und Wohnungsgeld,
Ausbildungs- und Vermögensbildungsförderung, Soziale Entschädigung,
Lastenausgleich, Wiedergutmachung) sollte durch drei Formen der Grundsicherung
ersetzt werden:
(1) Grundsicherung für
Nichterwerbsfähige (GS I): Nichterwerbsfähige Personen haben auf diese
Standardsicherung einen Rechtsanspruch, so entsteht Sicherheit für die
Leistungsempfänger. Die GS I ersetzt alle derzeitigen Entschädigungszahlungen,
wie sie im ersten Kapitel geschildert worden sind. Die GS I sollte eine
steuerfinanzierte Sozialleistung.
(2) Grundsicherung für
Erwerbsfähige (GS II): Wer einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, hat
Anspruch auf die GS II. Ausschlaggebend ist die Bedürftigkeit, d. h.
diese Menschen sind nicht in der Lage, aus eigenem Einkommen oder Vermögen ihr
Leben zu bestreiten. Diese Bedürftigkeit wird von den Behörden immer geprüft.
Eine Bedingung gibt es aber: Diese Sozialleistung ist nur zu gewähren, wenn der
Empfänger bereit ist, gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Diese
Verpflichtung sollte einen Umfang von 15 Stunden pro Woche haben. Werden weniger
als 15 Stunden gemeinnützige Arbeit in der Woche geleistet, kommt es zu
entsprechenden Leistungskürzungen.
(3) Grundrente für Bürger im
gesetzlichen Rentenalter: Dabei handelt es sich um eine standardisierte
Grundrente, auf die jeder Bürger im entsprechenden Alter einen Anspruch hat,
ohne dass die Bedürftigkeit geprüft wird. Diese Grundrente würde einen
Rentensockel darstellen, der durch Ansprüche aus der Bismarck-Säule sowie
privaten Vorsorgesäule ergänzt wird.
Alle drei Formen der
Grundsicherung sollten folgende gemeinsame Eigenschaften haben:
(1) Standardisierte
Leistungen, keine Einzelfallgerechtigkeit: Die Leistungen zur
Existenzsicherung sollten nur den Charakter der Fürsorge haben, und zwar
in Form einer Grundsicherung (GS). Die Leistungen werden in
standardisierter Höhe ausbezahlt, wodurch man von der komplizierten und
bürokratischen Einzelfallgerechtigkeit Abschied nimmt. Auf diese Weise würden
alle bisherigen Entschädigungsleistungen sowie Förder- oder Fürsorgezahlungen
wegfallen.
(2) Leistungshöhe: Um die
Höhe der Leistungen aus der Grundsicherung I und II zu definieren, wird als
Ausgangsgröße ein Betrag von 600 Euro gewählt, weil drei bislang übliche
Steuerungsgrößen in diesem Bereich liegen: das Existenzminimum (579 Euro), der
Steuerfreibetrag (618 Euro) und das Arbeitslosengeld II (345 Euro zuzüglich
Wohngeld und Beitrag zur Krankenversicherung). Zu diesen 600 Euro kommt ein
Beitrag für die Krankenversicherung dazu. Eine besondere Regelung wird für
Kranke und Behinderte getroffen. Sie erhalten Zulagen, mit denen die
Grundsicherung I aufgestockt wird. Die Höhe der Zulagen ist davon abhängig, wie
schwer die individuellen Einschränkungen sind. So werden die „Hilfen in
besonderen Lebenslagen“ beibehalten, wie sie bisher gewährt werden.
Der Zuschuss des Staates zur
Rentenkasse beträgt im Moment rund 80 Milliarden Euro im Jahr – mit der neuen
Grundrente würde dieses Geld in gleicher Höhe an alle Leistungsempfänger
ausbezahlt. 2004 lebten rund 15,4 Millionen Menschen über 65 Jahre in
Deutschland, pro Kopf würde dann schätzungsweise ein Betrag von 434 Euro /
Monat ausgezahlt werden.
(3) Steuerfinanzierung
mittels negativer Einkommenssteuer: Die Grundsicherung I und II sowie die
Grundrente werden in einem Umlageverfahren nur aus Steuergeldern finanziert,
wobei als Mechanismus die negative Einkommenssteuer Verwendung findet. In das
Steuersystem wird eine Transferleistung integriert, man unterscheidet dann einen
positiven und negativen Bereich. Im positiven Bereich müsste jeder Bürger
sein Einkommen wie bisher versteuern, ein Grundfreibetrag sichert das
Existenzminimum. Liegen Menschen mit ihrem Einkommen im negativen Bereich oder
erzielen gar keine Einkünfte, erhalten sie eine Transferleistung, die so
genannte negative Einkommenssteuer.
6.2 Staat: Beveridge-Säule
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(1) Alle Einkommen als
Bemessungsgrundlage: Bis auf die Unfallversicherung sind alle Zweige der
Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) so
zuorganisieren, dass als Bemessungsgrundlage für die Beiträge alle Einkünfte der
Bürger dienen, also auch Miet-, Pacht- oder Zinseinkünfte. Die Absicherung
sozialer Lebensrisiken sollte weiterhin bis zu einen bestimmten Höhe des
Einkommens über die gesetzliche Zwangsversicherungen erfolgen.
(2) Rentenversicherung:
Steuergelder werden nicht mehr für die Rentenversicherung verwendet, in
Anlehnung an das „Riester-Modell“ wird die Altersvorsorge organisiert, aber ohne
Zuschüsse vom Staat. Die Bürger sollen 20 Prozent ihres Einkommens in die
Altersvorsorge fließen lassen.
(3) Kapitaldeckungsverfahren:
In der Rentenversicherung wird nach einer Übergangszeit das
Kapitaldeckungsverfahren eingeführt. Anzustreben ist eine Mischfinanzierung: Die
Renten würden sich zusammensetzen aus der umlagefinanzierten Grundrente aus
Steuern (siehe oben) und dem kapitaldeckenden Vermögen, das aus
Versicherungsbeiträgen erwirtschaftet wird. Hierbei gilt das Äquivalenzprinzip:
Die Höhe der Beiträge bestimmt die Höhe der Rentenzahlungen.
(4)
Kranken- und Pflegeversicherung: Jeder Bürger hat eine Wahlpflichtversicherung, die eine
Grundversorgung garantiert. So werden über einen Solidarausgleich allgemeine
Gesundheitsrisiken abgesichert. Inklusive der Pflegeversicherung soll der
Beitragssatz bei ca. 15 Prozent liegen. Neben dieser gesetzlichen
Standardversicherung gibt es dann die Möglichkeit, private Zusatzversicherungen
abzuschließen, die etwa im Fall von Sportunfällen oder Kuren greifen.
6.3
Private Vorsorge-Säule, Zivilgesellschaftliche Säule und Familien-Säule |
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Die Bedeutung dieser Säulen wird
oft unterschätzt: Ihre Leistungsfähigkeit ist größer als die der ersten beiden
Säulen. Die Private Vorsorge-Säule wird durch eine Wachstumsorientierte
Wirtschaftspolitik gestärkt, weil so die Bürger über mehr Geld verfügen. Die
Zivilgesellschaftliche Säule sollte allein von Spenden und ehrenamtlichem
Engagement leben, staatliche Gelder sollten nur in die Beveridge-Säule fließen.
So werden die Steuermittel effizienter genutzt – und es entsteht mehr
Gerechtigkeit im System, weil die bisher übliche Klientel-Politik in der
Zivilgesellschaftlichen Säule nicht mehr möglich ist (Vergabe von staatlichen
Zuschüssen!). Schließlich gibt es eine Reihe von Maßnahmen, um die
Familien-Säule zu fördern – vom kostenlosen Zugang zu Bildung auf allen Ebenen
(Kindergarten bis Universität) bis zur Familienfreundlichen Gestaltung von
Arbeitsplätzen.
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