3. Die private Vorsorgesäule: Hierzu zählen alle
privaten Versicherungen
(Lebens-, Kranken- und Unfallversicherungen) und privaten
Spareinlagen.
4. Die Zivilgesellschaftliche Säule: Sie umfasst
in der Regel ehrenamtlich erbrachte Leistungen von
Stiftungen, Vereinen oder Verbänden.
5. Die Familien-Säule: Sie besteht in der Regel aus unbezahlten Leistungen,
die in Familien erbracht werden.
Ein neuer Blick auf alte Probleme (Kapitel 2):
Die Krise des Sozialstaates steht in Zusammenhang mit drei
Problemkomplexen, die gemeinsam
zum sozialpolitischen Blockadeknoten führen: Endogene
Probleme liegen vor, die ihre Ursache im
institutionellen Aufbau der Sozialbürokratie haben. Aufgaben
und Zuständigkeiten innerhalb staatlicher Behörden sind
unklar verteilt, fehlende Transparenz und Ineffizienz sind
die Folge.
Exogene Probleme ergeben sich durch mangelnde Reaktionsfähigkeit auf den
gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel: Der Faktor
Arbeit ist hoch belastet, Steuer- und Beitragseinnahmen
brechen weg. Die Ursachen liegen dafür u. a. in der
Globalisierung, dem Strukturwandel und der Überalterung der
Bevölkerung. Diese beiden Problemkomplexe bedingen
umfangreiche Ungerechtigkeiten: Ungerechte
Lastenverteilung: Moral-hazard-Verhalten, Inverse
Solidarität, Leistungsmissbrauch und zu hohe Unterstützung
für arbeitsfähige Personen, Klientelpolitik und Soziale
Segregation. Ergebnis: Mit dem bestehenden
"Schönwettersystem", das in Zeiten der Hochkonjunktur und
Vollbeschäftigung entstanden ist, kann auf die heutigen
Gegebenheiten nicht adäquat reagiert werden. Sowohl endogene
als auch exogene Probleme des Sozialsystems führen dazu,
dass die Handlungsmaximen (Leitlinien, Ziele und Prinzipien)
der Gesellschaft und der sozialen Sicherheit verletzt
werden.
Das Potential des deutschen Sozialmodells (Kapitel 3):
Der
skandinavische oder angelsächsische Weg wird als Alternative
zum deutschen Sozialstaat diskutiert. Die linken Kräfte
gehen von einem altruistischen Menschenbild
aus und empfehlen das skandinavische Modell: Alles wird aus
Steuern finanziert, und zwar auf hohem Niveau. Die rechten
Kräfte blicken nach Westen und setzen auf einen Ausbau der
privaten Säulen, wobei sie eine Individualisierung der
Lebensrisiken in Kauf nehmen. Sie gehen von einem
egoistischen bzw. utilitaristischen Menschenbild aus
und träumen davon, dass die unsichtbare Hand des Marktes
für Wohlstand sorgt. Und das deutsche Modell? Es
kombiniert einzelne Vorteile des angelsächsischen und
skandinavischen Modells, wodurch es beiden Systemen in ihrer
reinen Form überlegen ist. So kann der deutsche Sozialstaat
zwei kollektive Sicherheitsnetze aufbauen, die Existenz und
Lebensstandard absichern. Hinzu kommen freiwillige,
konjunkturunabhängige Ressourcen (vgl. oben private Säulen).
Der deutsche Sozialstaat verfügt also über ein großes
Potential, um aus eigener Kraft Reformen voranzutreiben.
Handlungsmaximen neu gedacht (Kapitel 4):
Auf der
normativen Ebene lassen sich zwei Kulturen identifizieren:
die Kultur der Solidarität und die Kultur der
Selbständigkeit. Dieser Ansatz führt zu einem normativen
Gebäude, das in seinen einzelnen Bereichen konsistent
organisiert ist - im Gegensatz zum heutigen System, in dem
sich Handlungsmaximen häufig widersprechen. Konsistenz
bedeutet: Entsprechend der jeweiligen Kultur werden
Handlungsmaximen formuliert, und zwar Leitlinien, Ziele und
Gestaltungsprinzipien. Diese stehen in einem logischen
Zusammenhang, z. B. folgt in der Kultur der Solidarität aus
der Leitlinie „christliche Nächstenliebe“ das Ziel
„Armutsbekämpfung ex post“. Das zugehörige
Gestaltungsprinzip ist das Finalprinzip, d h. die Hilfe
erfolgte ohne Blick auf die Ursachen der Notlage. So lassen
sich auch Handlungsmaximen für die Kultur der
Selbständigkeit formulieren. Außerdem verhalten sich die
zwei Kulturen in dem neuen Gebäude komplementär, sie
ergänzen sich und blockieren sich nicht.
Neue
Handlungsinstrumente (Kapitel 5): Von den
oben genannten Handlungsmaximen führt ein direkter Weg zu
neuen Handlungsinstrumenten. In der Beveridge-Säule
sollten Leistungen ausschließlich der Fürsorge, also der
Existenzsicherung dienen. Sie sollten nach einer
Bedürftigkeitsprüfung in Form einer Grundsicherung in
standardisierter Höhe (zurzeit 345 € monatlich plus
Wohngeld) gewährt werden, und zwar unterschieden nach
Nichterwerbsfähigen (die gegenwärtige Grundsicherung im
Alter und bei Erwerbsminderung, SGB XII) und Erwerbsfähigen
(Grundsicherung II). Hinzu sollte eine standardisierte
Grundrente kommen, auf die jeder Bürger ohne
Bedürftigkeitsprüfung einen Anspruch hat. Sie würde den
Rentensockel bilden, der durch Ansprüche aus der
Bismarck-Säule ergänzt wird.
Leistungen in der Bismarck-Säule sollten
ausschließlich der (Risiko-)Vorsorge, also der Sicherung des
Lebensstandards dienen (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-,
Pflege-, und Unfallversicherung). Der Staat hat lediglich
eine Ordnungsfunktion, die Finanzierung erfolgt über
Versicherungsbeiträge nach dem Kausalprinzip (von Fall zu
Fall wird unterschiedlich vorgegangen).
Damit die Private Vorsorge-Säule besser gedeiht,
müssten die Einkommen steigen, dies geht allein über mehr
Wirtschaftswachstum und höhere Löhne.
Die Zivilgesellschaftliche Säule kann man stärken,
indem die arbeitsfähigen Empfänger einer Grundsicherung
wöchentlich zu 15 Stunden gemeinnütziger Arbeit verpflichtet
werden. Dabei kann sich jeder die Arbeit in einem
gemeinnützigen Verein selbst aussuchen. Wer dies nicht will,
sollte bis zum Existenzminimum bzw. Steuerfreibetrag (fast
600 €/ monatlich) steuerfrei verdienen können
(Niedriglohnbereich). So würde das Humankapital dieser
Bevölkerungsgruppe sinnvoll genutzt.
In der Familiensäule ist eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf nicht nur für
Alleinerziehende wichtig, wodurch generell die kollektiven
Sicherheitssysteme entlastet würden.
Ein neues
Portfolio der Sozialen Sicherheit (Kapitel 6):
Kommt es zu einer konsistenten und komplementären
Weiterentwicklung des deutschen Sozialmodells, können die
Bürger auf ein Portfolio unterschiedlicher Instrumente
zugreifen, um sich sozial abzusichern. Dabei ist es wichtig,
auf bestehende Strukturen aufzubauen – nicht eine
Revolution, sondern eine Evolution sollte stattfinden, um
den Sozialstaat zukunftssicher zu gestalten. Denn im
Vergleich zu anderen Ländern liegt die Stärke des deutschen
Modells in seiner Vielfalt, die es zu bewahren und
auszubauen gilt.
Wie bei einem Auto muss es verschiedene Sicherheitssysteme
geben, die unabhängig von einander funktionieren. Höhere
Leistung ist in der Autoindustrie immer mit höheren
Sicherheitsstandards verbunden – ohne ABS und Airbag kommt
heute kaum ein Fahrzeug auf die Straße. So sollte auch die
Soziale Sicherheit in Deutschland erweitert werden, um sie
der höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit anzupassen.
Ohne soziale Stabilisatoren kann eine moderne Gesellschaft
nicht existieren – ein breites Portfolio an sozialen
Handlungsinstrumenten sorgt dafür, dass der Sozialstaat
intakt bleibt.
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